Artikel in "Spiegel-Online/Wissenschaft"

vom 9.10.2013


Sie sezieren Maden, studieren Kakerlaken - aber Spinnen finden sie eklig. Was arachnophobe Insektenforscher umtreibt, hat ein Wissenschaftler jetzt erforscht. Diese stören sich am überzähligen Beinpaar, ihr paradoxes Leiden nehmen sie mit Humor.

Angst vor Spinnen ist ein verbreitetes Phänomen, grob geschätzt fürchten rund 30 Prozent der Frauen und 20 Prozent der Männer die Achtbeiner, oder finden sie eklig. Doch gruseln sich auch Menschen, die beruflich mit Kakerlaken, Moskitos und anderen Krabbeltieren arbeiten, vor Spinnen?

Eine aktuelle Arbeit im "American Entomologist" beschäftigt sich mit dieser Frage. Richard Vetter, seines Zeichens Spinnenforscher im Ruhestand, suchte nach arachnophoben Insektenkundlern und befragte sie. 41 Fragebögen wertete Vetter aus und kommt zum Schluss: Die meisten seiner Teilnehmer sind lediglich "spinnenavers". Sie fürchten oder ekeln sich zwar, aber es beeinträchtigt sie nicht so stark, dass eine Therapie angeraten wäre. Angst und Ekel, so berichtet der Wissenschaftler, waren dabei nicht verknüpft: Einige Teilnehmer fanden Spinnen gruselig, aber nicht eklig - und andersherum.

Acht Beine sind zwei zu viel

Alle Befragten hatten in ihrem Arbeitsalltag direkt mit Insekten zu tun, aber das härtet offenbar nicht gegen Spinnen ab - die keine Insekten sind, sondern Spinnentiere. Es antworteten mehr Frauen als Männer, und die hatten auch höhere Werte in einem psychologischen Standardtest zu Spinnenphobie; sie waren also ängstlicher. Da Vetter sich aber aktiv an arachnophobe Entomologen wandte, sagt seine Umfrage nichts darüber aus, wie häufig in diesem Fachbereich Forschende unter Spinnenangst leiden.

Für manche, das zeigt die Studie, ist sie jedoch im Alltag durchaus ein Problem. So gesteht eine Forscherin, dass sie versuche, einem in einem Kursraum aufgehängten Spinnen-Poster auszuweichen. Und eine andere, die eine Museumskollektion betreut, verrät, dass sie zwar wisse, dass die ausgestellten Spinnen alle tot seien, sie aber trotzdem schaudere, wenn sie in den Raum mit den Spinnen-Exponaten gehe. "Ich fand es sogar gruselig, diesen Fragebogen auszufüllen", schreibt sie. Was generell gilt, stimmt auch bei den Entomologen: Die meisten hatten "schon immer" Angst vor Spinnen. Einige erinnern sich an ein prägendes Ereignis in der Kindheit, nachdem sich die Phobie festsetzte.

Warum Arachnophobie eine so verbreitete Furcht ist, ist bis heute nicht ganz klar. Zwar gibt es giftige und damit gefährliche Spinnen - aber das gilt zum Beispiel auch für Schlangen, die deutlich seltener extreme Ängste hervorrufen. Die befragten Entomologen nennen die Art, wie sich Spinnen bewegen, als eines der großen Probleme: Die Tiere tauchen plötzlich auf, laufen schnell, springen unerwartet.

Und sie haben irgendwie zu viele, im schlimmsten Fall sogar behaarte Beine. Letzteres sei ja als Argument für Angst in der allgemeinen Bevölkerung verständlich, die hauptsächlich an Zwei- und Vierbeiner gewöhnt ist, schreibt Vetter. "Es ist aber seltsam, dass Entomologen, die mit Sechsbeinern arbeiten, das zusätzliche Beinpaar als relevantes negatives Merkmal ansehen." Doch genau das tut gut die Hälfte der befragten Entomologen.

Richtig niedliche Vogelspinnen

Die Gefahr, die von Spinnen ausgeht oder ausgehen könnte, und ihre potentiellen Bisse sind für die Fachleute dagegen ein untergeordnetes Problem. Obwohl einige der Befragten mit Wespen und Bienen arbeiten und deren Stiche als unangenehm empfinden, können sie die Fluginsekten leiden, aber keine Spinnen. Sie bewerten das selbst als paradox. Nicht-fachkundige Arachnophobiker würden Spinnen oft menschliche Denkprozesse unterstellen, schreibt Vetter - nämlich dass die Tierchen sie bewusst beobachten und rachsüchtig seien. Die befragten Entomologen erweckten dagegen den Eindruck, dass ihnen durchaus bewusst war, wie paradox ihre Angst ist. Und zumindest beim Beantworten der Fragen nahmen es viele mit Humor.

Ein Entomologe, der sich unter anderem mit in Städten verbreiteten Schädlingen beschäftigt, merkt an, dass er Spinnen von einem biologischen und morphologischen Standpunkt schätze. "Aber ihr plötzliches Auftauchen und Springen macht mich fertig."

Er hat sogar eine Liste erstellt, welche Achtbeiner "richtig niedlich" sind ("Vogelspinnen, die meistens viel zu groß sind, um als richtige Spinnen durchzugehen") und welche dagegen beängstigend (unter anderem Dornfinger und Riesenkrabbenspinnen, die "alles verkörpern, was mit Spinnen einfach nicht stimmt"). Eine Forscherin, die in ihrem Job Fliegenlarven seziert und Maden toll findet, schreibt, dass diese Einstellung natürlich seltsam ist. "Aber", so schließt sie ihre E-Mail: "Maden schleichen sich nicht an und springen in dein Haar."